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Knurrende Hunde

Kürzlich gab es wieder ein Posting im Netz.

Hilfe! Sobald  ich meinem Hund das Kauröllchen abnehme oder beim Fressen am Napf vorbeigehe knurrt er mich an. Wie kann ich ihm das abgewöhnen?“ 

 

ein Hund am Strand, der über die Kamera knurrt und seine Vorderzähne zeigt.

 Meine Antwort:

Gar nicht, sei froh dass er knurrt. 

Ganz egal aus welchem Grund der Hund knurrt, zu diesem Thema entbrennen jedesmal heiße Diskussionen.

Die eine Seite gibt Ratschläge die Rangordnung mal zu prüfen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen:

  • Futter nur noch aus der Hand füttern
  • er wird von verschiedenen Menschen abwechselnd gefüttert
  • er muss sich sein Futter grundsätzlich erarbeiten
  • manchmal wird ein ganzer „rangreduzierender Maßnahmen Katalog“ erstellt
    • keine erhöhten Liegeplätze
    • beim Spaziergang nur noch hinter dem Menschen gehen
    • Annäherungen z. B. zum kuscheln ignorieren und nur noch selbst einfordern 
  • bis hin zu: wenn er knurrt
    • pack ihn dir und zeig ihm wer das Sagen hat und nimm ihm das Futter weg
    • bespritz ihn mit Wasser oder wirf mit Wurfschellen nach ihm
    • pack ihn an der Kehle, dreh ihn auf den Rücken und halt ihn so lange unten bis er ruhig liegen bleibt
  • Und es gibt die andere Seite, die raten den Hund einfach in Ruhe lassen:
  • lass den Hund in Ruhe fressen
  • stell seinen Napf so, dass keiner dran vorbei muss 
  • die Frage, warum man ihm überhaupt fressen abnehmen muss
  • usw.

 


Zwei völlig verschiedene Herangehensweisen mit dem gleichen Ziel: Der Hund soll aufhören zu knurren. 

Die Tipps der zweiten Art sind in jeden Fall erstmal ungefährlich und können die Situation auf beiden Seiten entspannen.

Die erstgenannten Maßnahmen können mitunter richtig gefährlich für den Halter werden. 

Warum du knurren nicht verbieten solltest

Einem Hund das Knurren zu verbieten beraubt ihn der letzten Möglichkeit zu warnen bevor er abschnappen oder beißen muss. 

Knurren gibt dem Hund die Möglichkeit zu sagen: „Stopp, komm mir bitte nicht näher.“

Wir Menschen neigen dazu alles in gut oder böse einteilen zu wollen. Genauso wie wir einen Hund der mit dem Schwanz wedelt Freundlichkeit unterstellen werten wir knurren als böse. 

Knurren ist aber erstmal nur Kommunikation. Der Hund sagt seinem Gegenüber deutlich, dass er die Situation gerade extrem unangenehm bis bedrohlich findet und er versucht jede weitere Annäherung zu unterbinden, um nicht körperlich werden, also beißen zu müssen. 

Wir Menschen wissen, dass der Hund knurren quasi als Warnung vor dem Biss einsetzt. Natürlich wollen wir weder selbst gebissen werden noch wollen wir, dass er jemand anderen verletzt. So neigen wir dazu schon beim knurren einzuschreiten und es zu verbieten. 

Das kann dann allerdings erst recht zum Problem werden. 

Lerne deinen Hund besser kennen

 

Ein Hund folgt in einer für ihn bedrohlichen Situation einem bestimmten Verhaltensablauf. 

Bevor der Hund knurrt zeigt er schon viele andere „leise“ Signale, die wir Menschen übersehen, fehlinterpretieren oder schlicht weg nicht kennen. Erst wenn eine Verhaltensweise nicht zur Entschärfung der Situation führt, springt der Hund zur nächsten Stufe. 

Verbieten wir das knurren, bleibt der Hund allerdings nicht auf dieser Stufe stehen.Es besteht die Gefahr, dass der Hund gleich zwei Stufen nimmt. Er überspring das knurren und geht gleich zum Angriff über.

Schaubild der Eskalationsleiter

Nicht die Emotionen vergessen

Fast immer, wenn zu einem Beißvorfall kommt, in dem der Hund plötzlich und ohne Vorwarnung zugebissen hat, lässt sich in der Rückschau feststellen, dass irgendwann in der Vergangenheit das Knurren verboten u/o gestraft und so unterbunden wurde. 

Wir Menschen denken, wenn wir knurren verbieten, kommt ab jetzt mit der Situation klar. Wir verändern aber die Wahrnehmung bzw. die Bewertung der Situation durch den Hund nicht.

Der Hund fühlt sich in der Situation noch immer überfordert, unterdrückt aber das knurren. Bis es ihm dann doch zu viel wird und … ohne weitere Warnung einfach beißt. 

Eine kleine Geschichte aus „unserer“ Welt:

Ich habe bzw. hatte echt Panik vorm Zahnarzt. Es gab 15 Jahre in denen ich keinen Zahnarzt besucht habe, weil ich solche Angst hatte. Irgendwann ging ich hin, erklärte dem Zahnarzt, dass ich wirklich Panik habe, er nur schauen darf und mir dann sagen soll was gemacht werden soll. Dann könnten wir über weitere Behandlungsmöglichkeiten, evtl. unter Vollnarkose sprechen. Wir trafen eine Absprache, sobald ich Stopp sage wollte er aufhören. 

Natürlich weiß ich, dass ein Zahnarzt kein Folterknecht ist und ich auf dem Stuhl nicht sterben werde. Mein denkender Hirnbereich hat das klar, aber es gibt noch diesen kleinen Teil der die Situation als stark bedrohlich bewertet. Mein Herzschlag erhöht sich, ich beginne zu schwitzen, mein ganzer Körper ist in Alarmbereitschaft. Dennoch lag ich in dem Stuhl, mir wurde ja versprochen, dass ich Stopp sagen kann. Und das, einzig das, gab mir die Möglichkeit die Situation kontrollieren zu können. Am Ende der Kontrolle meinte er, die Zähne seien fast alle in Ordnung, 2 seien leicht kariös und Zahnstein. 

Hast du eine Idee wie ich mich gefühlt habe? Mega, wie cool ist das denn?! Keine komplette Gebisssanierung — und ich hatte es überstanden. Ich war voll motiviert zur weitern Behandlung aber auch unendlich froh, den ersten Schritt hinter mich gebracht zu haben. 

Und dann nimmt der den Bohrer und meint: „den einen Zahn könnten wir ja gleich machen, ist schnell gemacht!“

Ich hab seine Hand weggedrückt, bin aus dem Stuhl gesprungen und hab ihn angebrüllt, was das soll. „Haben Sie mir nicht zugehört?“ 

„Aber sie machen das doch gut, es passiert ja auch nix. Ist nur oberflächlich!“ 

Ich bin aus der Praxis und habe nochmal 2 Jahre gebraucht um Mut für einen neuen Zahnarzttermin aufzubauen. 

Hätte er meine Ängste ernst genommen und einen neuen Termin ein paar Tage später gemacht … wir wären in weniger als 2 Jahren fertig gewesen.  

Heute ist alles tutti, ich hab einen Zahnarzt der tatsächlich Pause macht wenn ich eine brauche und sich auch daran hält. Das gibt mir das Gefühl die Kontrolle zu behalten und mein kleines „Urhirn“ fühlt sich nicht mehr lebensbedroht.

Und der Hund?

Ein Hund hat keine Hände, er kann sein Gegenüber nicht von sich schieben. 

Wäre ich in der Situation impulsiver gewesen hätte ich dem Zahnarzt vielleicht den Bohrer aus der Hand geschlagen oder gebissen, wie Kinder es oft tun. 

Auch Hunde dürfen „nein“ oder stopp sagen. Und wenn sie das tun, ist das nicht böse sondern sie fühlen sich bedroht. Dabei ist es sehr individuell warum das so ist. Aber wir sollten es immer Ernst nehmen. 

Was aber tun, wenn der Hund knurrt?

Erstmal sicherstellen, dass niemandem etwas passiert. Knurrt (d)ein Hund dich an, entferne dich, knurrt er etwas oder jemand anderen an, dreh um und vergrößere den Abstand. 

Natürlich verstärken wir damit das knurren. Denn er hatte damit Erfolg. Aber auch das ist gut. Er wird das knurren in Zukunft nicht generell einsetzen oder versuchen damit die Hausherrschaft an sich zu reißen. In der Theorie passiert aber folgendes: Knurren ist für den Hund erfolgreich, weil die Bedrohung aufhört, dadurch wird knurren verstärkt und sollte in Zukunft länger gezeigt werden. Ein Hund der länger knurrt beißt später. 

Natürlich soll man das nicht ausprobieren oder den Hund absichtlich in eine bedrohliche Situation bringen. 

Trainiere mit dem Hund die Situationen die er als bedrohlich empfindet. 

Gib ihm das Gefühl die Situation kontrollieren zu können:

  • lass ihn entscheiden wie schnell er sich „der Gefahr“ annähern kann
  • wenn er Probleme mit andern Hunden, Menschen oder in bestimmten Situationen hat, zeig ihm, dass er mit Abstand dran vorbei laufen kann
  • bring ihm bei auf dein Signal hin alles auszuspucken

Durch die heute genutzten kurzen Leinen und das Leben auf begrenztem Raum schränken wir unsere Hunde in ihrem hundlichen Verhalten ein. Kein Hund käme von sich aus auf die Idee eine für ihn wichtige Ressource (Futter oder Spielzeug) einem anderen völlig kampflos zu überlassen. Unsere Hunde haben nicht auf dem Schirm, dass sie eigentlich immer gut versorgt sind. 

Statt zu fragen, wie wir dem Hund dieses oder jenes Verhalten abgewöhnen können, können wir dem Hund eine alternative Verhaltensweise beibringen. Wir müssen ihnen zeigen, welche Möglichkeiten sie haben sich in unserer menschlichen Welt und in für sie z. T. sehr beengten Situationen adäquat zu verhalten, statt sie weiterhin in ihrem hundlichen Ausdrucksverhalten zu begrenzen. 

Ganz egal warum ein Hund knurrt, es liegt an uns ihm zu zeigen, dass 

  • die Situation nicht bedrohlich ist 
  • er nicht knurren muss
  • er entspannt mit der Situation umgehen kann. 
  • er eine Situation verlassen kann

 

Ganz egal um welche Situation es geht, es braucht keine Schreck- oder Schmerzreize. Wir müssen dem Hund nicht zeigen, wer das Sagen hat. Es reicht völlig ihnen mit gutem Training unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse adäquates Verhalten beizubringen. 

 

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Knurrende Hunde
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